Reviews
02.02.2015 hunderttausend.de hunderttausend.de
Die besten amerikanischen Romane des Jahres 2014

Literarisches Quartett Weberbach

​Leipzig und Frankfurt haben ihre Buchmessen, Trier sein Literaturgespräch über amerikanische Romane, welches am 30. Januar 2015 in der Stadtbibliothek Weberbach ​stattfand. Seit elf Jahren kommt der FAZ-Journalist Hubert Spiegel nach Trier, im Gepäck seine persönliche Auswahl der besten amerikanischen Romane des Vorjahres. Die Veranstaltung des Trierer Centrums für Amerikastudien hat sich längst ein treues Stammpublikum erspielt, mittlerweile ist der (kostenlose) Termin weit im Voraus ausgebucht. Auch in diesem Jahr gab es lebhafte Streitgespräche und ein gebanntes Publikum – auch wenn der wichtigste Gast fehlte.​

 
Image

​​Gerd Hurm ist nicht zu beneiden: Nicht nur, dass die Organisation des Literaturgesprächs eine aufwendige Angelegenheit ist, in diesem Jahr wurde seine Krisenfestigkeit besonders auf die Probe gestellt: Am Vorabend musste sein Stargast und Hauptprotagonist der Veranstaltung, der FAZ-Redakteur Hubert Spiegel, ihm bandscheibenbedingt absagen. "Nicht reisefähig" sei die Diagnose des Arztes gewesen. "Es war eine Absage mit Wehmut", betonte der Leiter des Centrums für Amerikastudien der Universität Trier. "Er hat versprochen, heute Abend mit seinen Gedanken bei uns zu sein. Und wir denken natürlich an ihn."

Seit 2004 ist der Journalist und Experte für amerikanische Gegenwartsliteratur regelmäßig an der Mosel zu Gast, um seine drei favorisierten amerikanischen Romane des Vorjahres vorzustellen – und oftmals leidenschaftlich mit seinen Mitstreitern zu diskutieren. Mit Michael Embach, dem Leiter der Trierer Bibliothek, Gerd Hurm und Sebastian Fett, Lehrer und Fachleiter für Englisch aus Koblenz, trifft sich ein eingespieltes Team. Die Trierer Buchhändlerin Susanne Link, die im letzten Jahr in der Jury des Deutschen Buchpreises saß, bewies nach Spiegels Absage Spontaneität und sagte sieben Stunden vor der Veranstaltung zu, das dezimierte Quartett zu komplettieren und die Vorstellung der Autoren und ihrer Werke zu übernehmen.

Hubert Spiegels Wahl war auf drei höchst unterschiedliche Werke aus dem Literaturjahr 2014 gefallen: "Telegraph Avenue" von Michael Chabon erzählt die Geschichten einer höchst vielfältigen Truppe, die um einen Plattenladen in Oakland kreisen, "In Almas Augen" handelt von einem geheimnisvollen Unglück in den Südstaaten der 1920er-Jahre und Dave Eggers endlos gehypter Roman "Der Circle" erzählt von den Fallstricken der schönen neuen Arbeitswelt im Epizentrum der Digitalisierung à la Google und Facebook.

In der Diskussion stellte sich "Telegraph Avenue" als der Roman aus, der alle ein wenig ratlos zurückgelassen haben schien, der zwar von allen für seine erzählerische Dichte und virtuose Erzählerstimme gelobt wurde, insgesamt aber in der Anlage seiner Handlung die Diskutanten nicht überzeugen konnte: "Dieses Buch ist großartig erzählt, aber es erzählt nichts Großartiges", brachte Sebastian Fett es auf den Punkt. "Man hätte sich gewünscht, dass der Autor sein Talent lieber etwas stärker in den Dienst der Handlung gestellt hätte."

"In Almas Augen", das im Englischen den sehr viel weniger individualisierten Titel "The Maid's Version" ("Die Version der Magd") trägt und damit den erzählerisch wichtigen Klassengegensatz schon vorwegnimmt, stellte sich als unbestrittener Liebling des Quartetts heraus: Hurm lobte den Autor als "Meister der Kürze und der Dichte", Embach gefiel die "geniale Figurenzeichnung" und Fett hob die Subtilität der "Spannung aus der Tiefe" hervor: "Man weiß fast von Anfang an, wer das Verbrechen begangen hat. Aber man weiß nicht, wieso es nicht ans Licht kommt." Kritik? Gab's hier nicht.

Ganz anders verhielt sich das bei dem wohl auflagenstärksten Buch, das in der Runde besprochen wurde: Das Erscheinen der deutschen Übersetzung von Dave Eggers Roman "Der Circle" war begleitet von einer – auch für Hype-routinierte Zeiten – überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit der Literaturbeilagen und Feuilletons. Die Attribute waren dabei im Zweifelsfrei stets eher eine Nummer zu groß als zu klein: "Das 1948 des Internetzeitalters" urteilte die Zeit, "das wichtigste Buch des kommenden Bücherherbstes" die FAZ. Allerdings ist die Literaturkritik sich bis heute nicht annähernd einig, ob man es hier nun mit dem ganz großen gegenwartsdiagnostischen Wurf oder mit einem erschreckend eindimensionalen Ausrutscher eines ansonsten weit geschickteren Autors zu tun habe. Diese Disparität zog sich auch durch die Diskussionsrunde in der Weberbach: Sebastian Fett bescheinigte der Lektüre, sie nehme den Leser nicht ernst, da jeder Dialog, jede Beobachtung und jede Beschreibung für den Leser eingeordnet und interpretiert werde – "in diesem Roman ist kein Platz für einen einzigen eigenen Gedanken". Michael Embach wagte eine Verteidigung, in der er den interessante Gedanken ausführt, dass der Aufbau des Romans – der Abstieg vom Himmel durch das Fegefeuer in die Hölle – der Struktur von Dantes Göttlicher Komödie folge.

An diesem Buch entzündete sich eine echte schöne Kontroverse, in der Argumente ausgetauscht, Positionen überprüft und Meinungen verteidigt wurden – auch im Dialog mit dem Publikum, das einige interessante Ideen und Gedanken anzumerken hatte. Hubert Spiegel hat natürlich trotzdem gefehlt: Man hätte gerne aus seinem Mund gehört, was ihn zur Auswahl dieser drei Romane bezogen hat, was er aus der zeitgenössischen Literatur auf das Amerika der Gegenwart schließt und was die drei sehr unterschiedlichen Romane als einendes Thema verbindet – ob es vielleicht tatsächlich die Obsession ist, wie einer der Besucher in der anschließenden Diskussion vermutete? Man weiß es nicht. Auch deshalb ist Gerd Hurm gewählter Schlussreim von Robert Frost in jeder Hinsicht passend: "We dance around in a ring and suppose, but the secret sits in the middle and knows."

Bildgalerie



Karte anzeigen