Interviews
13.03.2013 Jörg Halstein Veranstalter
Frank Jörickes neues Buch

Zeitgeist-Jagd mit scharfer Zunge

​Der Trierer Frank Jöricke hat sein neues Buch veröffentlicht: Als "Jäger des verlorenen Zeitgeistes" seziert er in 43 kurzen Kapiteln die jüngere Populärkulturgeschichte. Es geht um Männer, Frauen, Fußball, Mario Barth und Michael Jackson, von den Flops der 80ern bis zu den Hits von heute. Wir haben uns vor seiner Lesung in der Tufa (heute, 13. März, 20 Uhr) mit Frank unterhalten.

Zeitgeist-Jagd mit scharfer Zunge
 
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​Schon mit Deinem ersten Buch - dem Roman "Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" - bist Du in gewisser Hinsicht entlang des Zeitgeists gereist. Jetzt jagst Du ihm schon wieder hinterher?

Ich glaube, jeder hat sein Thema. Der eine interessiert sich für Angeln, der andere für die Geschichte des Stummfilms - und ich mich für den Zeitgeist. Es hat mich schon immer fasziniert, wie sich die Welt verändert. Wenn ich mir vor Augen führe, dass es vor 30 Jahren kein Privatfernsehen gab, kein Internet, keine Handys - also alles Dinge, die heute selbstverständlich sind, dann interessiert es mich, was das zwischen den Menschen verändert hat. So viel weiß ich: Mein Leben war vor 30 Jahren ohne diese ganzen Dinge ein ganz anderes. Und auch davon, also von früher, will ich, wie einst der Opa, berichten.​

Für die junge Generation wird es sicherlich nach beginnender Demenz des Erzählers klingen, wenn Du ausgerechnet dem Schlager der 70er revolutionäre und berauschende Attribute zuschreibst.

Die Art, wie wir Vergangenheit wahrnehmen, ist durch die Berichterstattung in den Medien völlig verzerrt. Die 80er werden als cooles und locker-lässiges Jahrzehnt dargestellt. Diejenigen, die in den 80ern jung waren, wissen aber: das waren teilweise schreckliche Jahre, nicht nur wegen BAP oder Bono Vox von U2, die Gesichter des Tschernobyl-Wackersdorf-Jahrzehnts.

Wenn es um die 68er geht, hören wir heute nur noch von Dutschke und Baader-Meinhof, dabei war das gesellschaftlich betrachtet eine Minderheit. Die überwältigende Mehrheit lebte weiterhin ihr spießiges Alltagsleben und hörte lieber auf Botschaften von Peter Alexander, der mit "Komm' und bedien' Dich bei mir" fast schon mehr mitzuteilen wusste als der Sex-Revolutionär Oswald Kolle.

Einige der von Dir zusammengetragenen Erkenntnisse sind dagegen so neu nicht. Dass es z. B. nicht mehr einfach ist, Mann zu sein...

Stimmt, aber man kann der Thematik durchaus noch Bemerkenswertes abgewinnen. Wenn man die einschlägigen Männer-Zeitschriften wie "GQ" oder "Men's Health" liest, stellt man fest, dass die eigentliche Botschaft Zweifel heißt. Männer werden zur ständigen Selbstverbesserung aufgerufen und damit in einem Zustand der Verunsicherung hinterlassen. Diese Methode kennen Frauen aus Frauenzeitschriften schon seit Jahrzehnten. Und plötzlich begegnen sich in unseren Zeiten gleich zwei verunsicherte Geschlechter - weshalb es niemanden wundern kann, dass heute jede zweite Ehe in die Brüche geht.

Was war für Dich die überraschendste Erkenntnis im gewaltigen Potpourri der Themen, an denen Du Dich abgearbeitet hast?

Der "Trierische Volksfreund" hatte mich seinerzeit angefragt, weil gleich mehrere Konzerte von Ukulelen-Orchestern in der Region angekündigt waren - ein bizarrer Fall für die Analyse eines Zeitgeist-Forschers.

Seit den 90ern haben wir immer wieder bekloppte Trends, erst kamen die Tenöre, erst dann drei, dann fünf, dann zehn und dann irgendwann 101 Tenöre, wie bei den Dalmatinern. Später gab es dann "Lord of the Dance" und jede Menge anderer Dingsbumse "of the Dance". Und nun auf einmal eine Heerschar an Ukulelen-Orchestern.

Es ist offensichtlich so: Das Abgedrehte kann heute zum Mainstream werden, wenn es nur ordentlich gepusht wird.

In Deinem Buch scheint eine gewisse Sympathie für den Fußball im allgemeinen durch, und im besonderen für den "Rumpelfußball der 80er.

Zeitgeist kann man eben gut am Fußball beobachten: In den 70ern und 80ern musste man ja seinem Gegenspieler das Schienbein durchtreten, um eine Gelbe Karte zu bekommen. Andererseits haben Spieler wie Hans-Peter Briegel ohne Schienbeinschoner gespielt und hatten am Ende blau getretene Beine wie nach einer Wirtshausschlägerei. "Rustikale Härte" nannte man das.

Barcelonas fast körperloser "Tika-Taka"-Stil ist also nicht so Dein Ding?

Für den Zeitgeist-Forscher schon: Barcelonas Fußball passt doch genau in unsere Zeit: Er ist auf höchste Effizienz ausgelegt und oberflächlich betrachtet schön anzusehen, aber dennoch fehlt irgendetwas, was der vermeintliche Zeitlupenfußball der 70er noch hatte.

Dennoch hat der moderne Fußball etwas hervorgebracht, das Du positiv bewertest: das "Rudel-Gucken".

Auch im Zeitalter des Individualismus mit seinem Selbstdarstellerforum "Facebook" bleibt der Mensch ein Gesellschaftswesen. Allerdings erfahren wir in einer segmentierten Welt nicht mehr allzu häufig das Gemeinschaftserlebnis. Heute schauen eben nicht mehr 80 Prozent aller Erwachsenen den Edgar-Wallace-Krimi im Fernsehen. Auch bei der Musik gibt es keine großen Gemeinsamkeiten mehr, weil es für jeden Geschmack mittlerweile ein eigenes Genre gibt, und sei es Country-Funk mit Bossa-Nova-Elementen. Deshalb müssen wir uns Gemeinschaftserlebnisse schaffen, dazu gehört das "Public Viewing" bei großen Fußballturnieren, aber auch so merkwürdige Ausprägungen wie das gemeinsame "Tatort"-Gucken in Kneipen. Aber das wäre ein ganz eigenes Kapitel.

Hat es Dich eigentlich geärgert, dass die Posse um das neue Heino-Album erst nach Drucklegung Deines Buches durch die Gazetten ging?

Die Hysterie um Heino hat nichts mit Zeitgeist zu tun. Sein Erfolg ist das Ergebnis einer genialen PR-Kampagne, bei der auf die BILD-Zeitung einmal wieder Verlass war. Dennoch ist das Album eine begrüßenswerte Tat. Wenn Heino "Willenlos", "Was soll das", "Sonne" oder "Ein Kompliment" nachsingt, wird deutlich, dass all der Deutsch-Rock in Wirklichkeit auch nur Schlager ist. Schlager, der auf dicke Hose macht.

Was erwartet uns heute Abend in der Tufa?

Es wird keine Lesung im klassischen Sinne sein, weil sich das Thema "Zeitgeist" vor allem an Musik und Film festmachen lässt. Wenn man über Filme, Fernsehserien oder Fußball erzählt, muss man das auch zeigen. Deshalb werde ich einige legendäre Filmausschnitte zeigen und auch TV-Aufnahmen aus dem Fußball, die den Fan von heute befremden mögen. Und damit meine ich nicht die Szene, als Ewald Lienen 1981 bei einem Foul von Norbert Siegmann der Oberschenkel aufgeschlitzt wurde.

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